Die Cyanotypie ist ein Verfahren aus dem Jahr 1842 zur Herstellung von Fotografien, das gerne verwendet wurde, um Pflanzen möglichst genau abzubilden und Dokumente zu vervielfältigen. Man fand heraus, dass sich Stoff (für Uniformen von Soldaten) mit dieser chemischen Lösung hervorragend färben lässt. So wurde die Farbe als „Preußisch Blau“ oder „Berliner Blau“ bekannt. Auch der Begriff „Blaupause“ hat seinen Ursprung hier.
Ich hatte den Workshop bei
Jeromin zufällig entdeckt und wurde neugierig. In der Ausschreibung stand, auch auf Papier ließe sich die Technik anwenden, und meine Laune wäre rapide gesunken, hätte ich mich nicht sofort angemeldet. Zusammen mit der Buchung einer Übernachtungsmöglichkeit alles in allem kein billiges Vergnügen, aber es hat sich gelohnt. Nicht nur, weil ich die neu erworbenen Kenntnisse – wie sich später herausstellte – für die aktuelle
Sommer-Post-Kunst verwenden kann, sondern auch weil die 3 Tage randvoll waren mit Wissen und Informationen, Kreativität und sich täglich steigernder Euphorie sämtlicher Teilnehmer.
Wir waren 7 Frauen aus Deutschland und der Schweiz, davon 5 Jeromin-Stammgäste. Kein Wunder, denn Fritz (der Kopf) und Brunhilde (die Hände) haben den Bogen raus, wie man die Kundschaft begeistert, fördert, fordert und verwöhnt.
Die Werkstatt in einem schönen, alten Industriehof am Rande der Innenstadt von Speyer ist geräumig und gleichzeitig vollgestopft mit Gerätschaften aller Art. Jeder Zentimeter ist sinnvoll ausgenutzt. Pro Teilnehmerin steht ein großer Arbeitstisch und ein praktischer Rollwagen für persönliche Utensilien bereit. Es gibt so viele Dinge hier … ich muss wohl auch zum Stammgast werden, um annähernd zu begreifen, wo was wofür und warum vorhanden ist.
Wie lief die ganze Sache denn ab?
Nachdem Kaliumhexacyanidoferrat III und Ammoniumeisen-III-Citrat mit Wasser zu einer UV-Licht-empfindlichen Tinktur gemischt waren und wir Papier bzw. Stoff damit beschichtet hatten, musste das Material tageslichtgeschützt trocknen. Die Beschichtung ist gelb, ändert sich aber rapide, wenn Sonne oder Tageslicht darauf fällt.
Dazu zeige ich euch hier mal die Abfolge einer Belichtung:
Die gerade an die Sonne gelegte Komposition aus Farn und einem Gitter liegt auf Aquarellpapier, obenauf eine Glasscheibe als Windschutz. Die Beschichtung ist deutlich erkennbar und bereits grünlich.
Nach vielleicht 10 Minuten (bei strahlendem Sonnenschein) ist die Beschichtung schon wesentlich dunkler, allerdings lässt sich die endgültige Färbung jetzt noch nicht beurteilen.
Ich habe Farn und Gitter entfernt. Man erkennt an den unbelichteten Stellen die ursprüngliche gelbe Tinktur.
Beim Wässern ändert sich die Farbe. Die gelbe Fotolösung muss komplett ausgewaschen werden.
Erst nach dem vollständigen Durchtrocknen zeigt sich das wahre Blau.
Jetzt ist es natürlich nicht besonders prickelnd, 3 Tage lang ein blaues Pflanzen-Photogramm nach dem anderen anzufertigen. Ich hatte mir zu Hause schon von eigenen Digitalfotos Negative auf Overheadfolie ausbelichten lassen. Für 80 Cent pro Stück war das im Copyshop mit dem Laserdrucker schnell gemacht.
Meine Baum-Serie modifizierte ich durch die Dauer der Belichtungszeit und die Farbigkeit des Stoffes (obere Reihe). Wer das Blau irgendwann nicht mehr sehen kann, steckt seine Blueprints für 10 Minuten in alkalihaltige Substanzen wie z.B. Vollwaschmittel, Soda oder Backpulver und schwupps … ist der Druck blass wie mein Baum links unten. Das ist dann die Ausgangsbasis für eine Umfärbung mit Tee oder Kaffee und wird logischerweise braun.
Das letzte Bild in meiner Baum-Reihe ist – ich gebe es zu - digitaler Betrug. Brunhilde zeigte uns, wie man mit Procion (= spezielle Farbe) einen Siebdruck über die Cyanotypie legen kann. Leider ist mein Versuch nicht geglückt. Möglicherweise waren 2 Stunden Trocknungszeit zu wenig. Was Genaues weiß man nicht. Jedenfalls hätte es so aussehen sollen wie dargestellt und hätte mich dann absolut glücklich gemacht. Nunja … hätte .. hätte … Fahrradkette ...
Der Trick mit der Belichtung mittels Overheadfolien birgt übrigens eine ganze Menge Möglichkeiten. Man kann z.B. Gegenstände auf einem Fotokopierer arrangieren und davon eine (Negativ-) Folie ziehen. Das ergibt eine plastischere Wiedergabe als bei der einfachen „Ding-auf-beschichtetes-Material-legen“ Methode. Die Druckinformation auf den Folien lässt sich darüber hinaus mit einem Schaber retuschieren (wegkratzen) und mit einem Lumi Marker ergänzen (im Bild unten wurden die Konturen der Kamillenblüten mit Marker nachgezogen). Man kann den Film auch zerschneiden und neu zusammensetzen. Tesafilm-Kanten werden bei der anschließenden Belichtung überstrahlt, so dass dadurch keine Unsauberkeiten entstehen.
Oder ihr malt einfach selber etwas auf Folie. Oder ihr bemalt gleich mehrere Folien und legt sie dann übereinander, so wie hier eine Teilnehmerin Birkenstämme und ein Netz auf zwei separate Folien zeichnete. Dabei sollte man nicht vergessen, dass aus Positiven bei der Belichtung Negative werden und umgekehrt. Leider sind die Birken jetzt dunkel und man hat etwas Mühe, sie auf Anhieb zu erkennen. Aber toll ist es trotzdem, oder?
Aus einer Mischung aus Zacken-Malerei und Masken entsteht unten im Bild eine ganz eigene, abstrakte Komposition.
Und um dem Ganzen noch ein I-Tüpfelchen drauf zu setzen, hat eine Teilnehmerin durch gezielte Pinselstriche mit der Fotolösung aus einem einfachen weißen Shirt ihr persönliches Unikat geschaffen.
Große, farbige Tücher mit wilden Dschungelmustern schmückten unseren Aufenthaltsraum.
Immer mehr Ideen wurden umgesetzt, Experimente mit Frottage, groben und feinen Papieren oder Stoffen, Handschriften, Transparenten, Scherenschnitten und ich-weiss-nicht-was-allem gemacht. Manchmal wurde nach der halben Belichtungszeit etwas verändert, um neue Tonstufen zu erzeugen. Aus Phantasie, alten Erfahrungen und neu Gelerntem wurden Kunstwerke.
Beim Anblick von Seidentüchern, die auf Shibori-Art (früher hieß es einfach „Batik“) durch Abbinden, Knoten und Nähen entstanden, bekam selbst Brunhilde Schnappatmung. Je nach Art der Faltung gelangt das UV-Licht an bestimmte Stellen nicht oder nur teilweise und es entstehen Blautöne in vielen Schattierungen. Meisterklasse!
Es war deutlich zu sehen, dass zu diesem eher selten angebotenen Kurs etliche erfahrene Stoff-Entusiastinnen zusammen kamen. Ich habe mächtig profitiert und hoffe, ich habe auch euch inspiriert und infiziert.
Bei
Jeromin gibt es die nötigen Chemikalien für die Cyanotypie zusammen mit einem ausführlichen Anleitungblatt.
Meine Cyanotypie zum Sonnendruck-Projekt der
SommerPost werde ich euch Ende Juli zeigen. Bis dahin – macht doch einfach mal blau.