Dienstag, 11. Juli 2017

Cyanotypie-Workshop bei Jeromin in Speyer

Die Cyanotypie ist ein Verfahren aus dem Jahr 1842 zur Herstellung von Fotografien, das gerne verwendet wurde, um Pflanzen möglichst genau abzubilden und Dokumente zu vervielfältigen. Man fand heraus, dass sich Stoff (für Uniformen von Soldaten) mit dieser chemischen Lösung hervorragend färben lässt. So wurde die Farbe als „Preußisch Blau“ oder „Berliner Blau“ bekannt. Auch der Begriff „Blaupause“ hat seinen Ursprung hier.

Ich hatte den Workshop bei Jeromin zufällig entdeckt und wurde neugierig. In der Ausschreibung stand, auch auf Papier ließe sich die Technik anwenden, und meine Laune wäre rapide gesunken, hätte ich mich nicht sofort angemeldet. Zusammen mit der Buchung einer Übernachtungsmöglichkeit alles in allem kein billiges Vergnügen, aber es hat sich gelohnt. Nicht nur, weil ich die neu erworbenen Kenntnisse – wie sich später herausstellte – für die aktuelle Sommer-Post-Kunst verwenden kann, sondern auch weil die 3 Tage randvoll waren mit Wissen und Informationen, Kreativität und sich täglich steigernder Euphorie sämtlicher Teilnehmer.

Wir waren 7 Frauen aus Deutschland und der Schweiz, davon 5 Jeromin-Stammgäste. Kein Wunder, denn Fritz (der Kopf) und Brunhilde (die Hände) haben den Bogen raus, wie man die Kundschaft begeistert, fördert, fordert und verwöhnt.


Die Werkstatt in einem schönen, alten Industriehof am Rande der Innenstadt von Speyer ist geräumig und gleichzeitig vollgestopft mit Gerätschaften aller Art. Jeder Zentimeter ist sinnvoll ausgenutzt. Pro Teilnehmerin steht ein großer Arbeitstisch und ein praktischer Rollwagen für persönliche Utensilien bereit. Es gibt so viele Dinge hier … ich muss wohl auch zum Stammgast werden, um annähernd zu begreifen, wo was wofür und warum vorhanden ist.

Wie lief die ganze Sache denn ab?

Nachdem Kaliumhexacyanidoferrat III und Ammoniumeisen-III-Citrat mit Wasser zu einer UV-Licht-empfindlichen Tinktur gemischt waren und wir Papier bzw. Stoff damit beschichtet hatten, musste das Material tageslichtgeschützt trocknen. Die Beschichtung ist gelb, ändert sich aber rapide, wenn Sonne oder Tageslicht darauf fällt.

Dazu zeige ich euch hier mal die Abfolge einer Belichtung:

 
  1. Die gerade an die Sonne gelegte Komposition aus Farn und einem Gitter liegt auf Aquarellpapier, obenauf eine Glasscheibe als Windschutz. Die Beschichtung ist deutlich erkennbar und bereits grünlich.
  2. Nach vielleicht 10 Minuten (bei strahlendem Sonnenschein) ist die Beschichtung schon wesentlich dunkler, allerdings lässt sich die endgültige Färbung jetzt noch nicht beurteilen.
  3. Ich habe Farn und Gitter entfernt. Man erkennt an den unbelichteten Stellen die ursprüngliche gelbe Tinktur.
  4. Beim Wässern ändert sich die Farbe. Die gelbe Fotolösung muss komplett ausgewaschen werden.
  5. Erst nach dem vollständigen Durchtrocknen zeigt sich das wahre Blau.

Jetzt ist es natürlich nicht besonders prickelnd, 3 Tage lang ein blaues Pflanzen-Photogramm nach dem anderen anzufertigen. Ich hatte mir zu Hause schon von eigenen Digitalfotos Negative auf Overheadfolie ausbelichten lassen. Für 80 Cent pro Stück war das im Copyshop mit dem Laserdrucker schnell gemacht.

Meine Baum-Serie modifizierte ich durch die Dauer der Belichtungszeit und die Farbigkeit des Stoffes (obere Reihe). Wer das Blau irgendwann nicht mehr sehen kann, steckt seine Blueprints für 10 Minuten in alkalihaltige Substanzen wie z.B. Vollwaschmittel, Soda oder Backpulver und schwupps … ist der Druck blass wie mein Baum links unten. Das ist dann die Ausgangsbasis für eine Umfärbung mit Tee oder Kaffee und wird logischerweise braun.

Das letzte Bild in meiner Baum-Reihe ist – ich gebe es zu - digitaler Betrug. Brunhilde zeigte uns, wie man mit Procion (= spezielle Farbe) einen Siebdruck über die Cyanotypie legen kann. Leider ist mein Versuch nicht geglückt. Möglicherweise waren 2 Stunden Trocknungszeit zu wenig. Was Genaues weiß man nicht. Jedenfalls hätte es so aussehen sollen wie dargestellt und hätte mich dann absolut glücklich gemacht. Nunja … hätte .. hätte … Fahrradkette ...

Der Trick mit der Belichtung mittels Overheadfolien birgt übrigens eine ganze Menge Möglichkeiten. Man kann z.B. Gegenstände auf einem Fotokopierer arrangieren und davon eine (Negativ-) Folie ziehen. Das ergibt eine plastischere Wiedergabe als bei der einfachen „Ding-auf-beschichtetes-Material-legen“ Methode. Die Druckinformation auf den Folien lässt sich darüber hinaus mit einem Schaber retuschieren (wegkratzen) und mit einem Lumi Marker ergänzen (im Bild unten wurden die Konturen der Kamillenblüten mit Marker nachgezogen). Man kann den Film auch  zerschneiden und neu zusammensetzen. Tesafilm-Kanten werden bei der anschließenden Belichtung überstrahlt, so dass dadurch keine Unsauberkeiten entstehen.

Oder ihr malt einfach selber etwas auf Folie. Oder ihr bemalt gleich mehrere Folien und legt sie dann übereinander, so wie hier eine Teilnehmerin Birkenstämme und ein Netz auf zwei separate Folien zeichnete. Dabei sollte man nicht vergessen, dass aus Positiven bei der Belichtung Negative werden und umgekehrt. Leider sind die Birken jetzt dunkel und man hat etwas Mühe, sie auf Anhieb zu erkennen. Aber toll ist es trotzdem, oder?

Aus einer Mischung aus Zacken-Malerei und Masken entsteht unten im Bild eine ganz eigene, abstrakte Komposition.

Und um dem Ganzen noch ein I-Tüpfelchen drauf zu setzen, hat eine Teilnehmerin durch gezielte Pinselstriche mit der Fotolösung aus einem einfachen weißen Shirt ihr persönliches Unikat geschaffen.

Große, farbige Tücher mit wilden Dschungelmustern schmückten unseren Aufenthaltsraum.

Immer mehr Ideen wurden umgesetzt, Experimente mit Frottage, groben und feinen Papieren oder Stoffen, Handschriften, Transparenten, Scherenschnitten und ich-weiss-nicht-was-allem gemacht. Manchmal wurde nach der halben Belichtungszeit etwas verändert, um neue Tonstufen zu erzeugen. Aus Phantasie, alten Erfahrungen und neu Gelerntem wurden Kunstwerke.

Beim Anblick von Seidentüchern, die auf Shibori-Art (früher hieß es einfach „Batik“) durch Abbinden, Knoten und Nähen entstanden, bekam selbst Brunhilde Schnappatmung. Je nach Art der Faltung gelangt das UV-Licht an bestimmte Stellen nicht oder nur teilweise und es entstehen Blautöne in vielen Schattierungen. Meisterklasse!

Es war deutlich zu sehen, dass zu diesem eher selten angebotenen Kurs etliche erfahrene Stoff-Entusiastinnen zusammen kamen. Ich habe mächtig profitiert und hoffe, ich habe auch euch inspiriert und infiziert.

Bei Jeromin gibt es die nötigen Chemikalien für die Cyanotypie zusammen mit einem ausführlichen Anleitungblatt.

Meine Cyanotypie zum Sonnendruck-Projekt der SommerPost werde ich euch Ende Juli zeigen. Bis dahin – macht doch einfach mal blau.
   

16 Kommentare:

  1. Das ist ja interessant! Kannte ich noch gar nicht und mag das jetzt total gerne ausprobieren. Wunderschön und mitreißend inspirierend!
    Liebe Grüße von mir, die sich darüber jetzt mal schnell schlau macht!
    Solveig

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  2. Liebe Ela, ich hatte irgendwo bereits gelesen, dass du diesen Workshop gemacht hattest und war schon neugierig auf deinen Bericht darüber. Ach, was beneide ich dich um diese 3 interessanten Tage voller blauer Kreativität und sage dir ein dickes Dankeschön für diese ausführliche Beschreibung mit Tipps und Tricks zur Technik! Als ob ich selbst mit dabei gewesen wäre...
    Dass die Möglichkeiten schier unendlich sind, hab ich schon gemerkt - ach, ich will so viel noch selbst ausprobieren, es hat mich auch richtig gepackt!
    Übrigens muss es kein Laserdrucker sein für die Folie - ich habe mit meinem Tintenstrahldrucker super Ergebnisse erzielt.
    Sag mal, hättest du Lust auf einen privaten Tausch, ich würden mich freuen!
    Liebe Grüße Ulrike

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    1. Danke Ulrike ...

      ich hab mich beeilt, den Bericht fertig zu kriegen, damit die Eine oder Andere noch ein bisschen Unterstützung bei der Ideenfindung hat.

      Stimmt, es geht auch mit Tintenstrahl, aber dann muss man mit feuchten Fingern und Wasserspritzern gewaltig aufpassen ... nix für mich.

      Ich hätte schon Lust auf einen privaten Tausch, denn ich bin sicher, dass du wieder was verdammt Schönes produzierst, aber das kleine Set Chemikalien hat leider gerade mal so knapp für die 8 Beiträge und ein paar wenige Experimente gereicht. Das hatte ich so auch nicht geplant und wenn ich das gewusst hätte ...

      Vielleicht hat mein Baumwollstoff zu viel gesoffen. Momentan fehlt mir auch die Zeit, noch mal nachzubestellen und mehr zu produzieren. Samstag bin ich schon wieder unterwegs.

      Ich überleg mir was, damit du nicht all zu sehr enttäuscht bist. Übrigens sehen wir uns in Bielefeld :-)

      Liebe Grüße

      ela

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  3. Oh ist das fein, deine schöne Bilder aus Speyer, wo ich mich schon so heimisch fühle, weil ich dort selbst schon zweimal unterrichten durfte. Es ist so ein besonderer Ort! Und wunderbar, dass du jetzt so Blueprint-erfahren bist, ich selbst bin totaler Anfänger, habe gerade mal meine Stoffe geschnitten und noch nicht die Chemie angerührt. Interessant finde ich besonders, dass man auch Shibori damit machen kann, das erweitert die Möglichkeiten.
    Bin gespannt, welche Motive du für die Sommerpost aussuchst.
    Liebe Grüße
    Michaela (die privat auch immer Ela genannt wird...)

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    1. Hallo Ela,

      gestern hab ich Dellbrück gebucht ;-) Wer Bücher schreibt, muss derweil eben andere Dinge warten lassen. Du schaffst das!!

      Liebe Grüße
      ela

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  4. Ein toller Kurs unter diesem kreativen Dach, das ich auch schon kenne, und im Oktober bin ich wieder dort ;-). Schöne, phantasie- und prachtvolle Sachen habt ihr geschaffen, und ja, das Shibori sieht darunter geradezu verführerisch aus. Die bekannte "Abbindebatik" ist übrigens keine echte Batik, denn die ist eine Reservierungfärbestechnik mit Wachs. Da kenne ich mich nun wieder aus ;-). Aber ich kenne das schon... Wenn ich auf die Frage meiner Lieblingstechniken u. a. Batik antworte, kommt meist, "das haben wir früher auch gemacht", und gemeint ist dann das Abbinden... Die Wachsbatik ist leider nur noch wenig verbreitet. Lieben Gruß, und ich freue mich schon sehr auf Speyer - Ghislana

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    1. Hi Ghislana,

      das mit dem Wachs steht auch noch auf meiner Wunschliste und ich bereue schon, nur 2 Hände zu haben. Da ich alles nacheinander machen muss, muss ich sehr alt werden!!

      Liebe Grüße

      ela

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  5. Liebe Edelgard,
    was für ein toller Bericht! Die perfekte Motivation zur Sommerpost... Ich werde in Mannheim bald den eintägigen Kurs "Kreative Sonnentechniken" machen. Auch ich stehe gerne wieder zu einem Zusatztausch zur Verfügung.
    Einen schönen blauen Sommer wünscht dir
    Carmen

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    1. Hallo Carmen,

      bitte lies mal, was ich Ulrike geantwortet habe. Mir fehlt leider Zeit und Chemie, um mehr von meinem Sommer-Post-Beitrag zu belichten.

      Danke für deine liebe Nachricht und viele Grüße

      ela

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  6. du siehst mich hier mit schnappatmung sitzen!! sowas von toll aber auch. das wäre ja genau mein kurs gewesen!! weil ich das mit der chemie bisher überhaupt noch nicht kapiert habe und noch nicht mal einen einfachen druck gemacht habe. aber heute kaufe ich seidenmalfarbe für erste versuche. ein bisschen angst hab ich vor den chemikalien, stinken die?? ich hab nämlich eine lösungsmittelallergie und mir wird kotzübel und schwindelig, wenn sowas ausdünstet.
    dein bericht ist wirklich die geniale vorbereitung für die sommerpost. ich danke herzlich dafür und werde ihn noch mehrfach lesen!! ich muss wohl mal für einen kurs bei jeromin sparen...
    liebe grüße
    mano

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    1. Hallo mano,

      ich hatte vorhin schon mal geantwortet, aber die Technik hat den Versand nicht zugelassen .... stöhn ... da ist immer noch ein Fehler im Beitrag, der mich wieder wertvolle Zeit kosten wird, denn so was macht mich ga-ga. Keine Ahnung, ob es an Blogger.com liegt oder an dem PC, jedenfalls wirst du darüber stolpern, wenn du den Bericht noch einmal liest. Es sei denn, ich finde den Wurm.

      Nein, vor Gestank brauchst du bei der Mixtur für die Cyanotypie keine Angst haben. Ich habe kaum etwas gerochen. Nur sollest du keine Spritzer in die Augen oder Schleimhäute kriegen, aber du bist ja erwachsen ;-)

      Das Verfahren ist so einfach ... hab Mut!!

      Liebe Grüße

      ela

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  7. Die Idee mit dem T-Shirt finde ich genial. Da hab ich sofort einen selbstgenähten Rock vor Augen. Ich könnte mir gut vorstellen, dass auchmal auszuprobieren.

    LG Mareike

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  8. Liebe Ela, ich durfte ja schon "privat" lesen wie gut Dir diese 3 Tage gefallen haben. Dein Bericht unterstreicht noch einmal wie toll es war und ich bin überwältigt von den Informationen und Bilder. Toll. Es wird Zeit, dass ich Zeit bekomme mitzufahren (das heißt in meinem Fall "Rente") ........ Ganz viele Punkte. Toller Bericht, danke. Andrea :)

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  9. Was ein fantastischer Bericht, vielen Dank, wow! Die Ergebnisse sind ja umwerfend. Ich hab auf der Minipressenmesse eine Frau kennengelernt, die Cyanotypie und die Bearbeitung der Papiere mit Tee zu tollen Kunstwerken gebracht hat. Ich bin begeistert! Liebe Grüße, Eva

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    1. Hi Eva,

      mit der Frau auf der MiniPressenMesse habe ich auch gesprochen. Sie hatte wirklich wunderschöne Bücher auf ihrem Tisch liegen und wenn ich den Workshop nicht genau vor der Nase gehabt hätte, wäre eins der Bücher meins geworden! Fast bedauere ich, dass ich nicht zugegriffen hab.

      Liebe Grüße

      ela

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  10. oh toll! all die möglichkeiten! wird einem da nicht rauschig im kopf ;o) schön, diene abfolgen!
    die tabea grüßt

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Ich freue mich sehr über jeden netten, ehrlich gemeinten Kommentar. Applaus ist das Brot des Künstlers ;-)

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