Mittwoch, 26. August 2020

Sehnsucht + Blau = Tunnelbuch

Immer wenn ich Tunnelbücher sehe, kriege ich einen sehnsüchtigen Blick, weil ich auch eins haben will. Was liegt da näher, als sich anlässlich des aktuellen MittwochsMix Thema „Sehnsucht“ selber solch ein dreidimensionales Objekt zu bauen? Michaela und Susanne haben das Themenduo des Sommers mit „Blau“ vervollständigt, so dass man gleich an Himmel, Wolken und Meer denken muss. Eine ganze Weile kreiste auch mein Hirn um diese Elemente, als ob es nichts anderes gäbe. 

 

Die Wochen vergingen, aber nichts geschah. Ich saß vor meinen in vielen Schattierungen vorhandenen blauen Kartons und vermaß die Pappen, sinnierte über das Buchformat, scribbelte Meereswellen und durchsuchte meine Stempelsammlung nach Fischen, Leuchttürmen und Muscheln. Nichts, was mich überzeugte. Ich traf mich mit Freunden zum Eis essen, ich döste vor dem Fernseher und immer noch wartete mein Tunnelbuch sehnsüchtig darauf, in Angriff genommen zu werden. Zu kneifen hätte ich mir nicht verziehen. Dann überfiel mich eines schönen Tages der zündende Gedanke, geboren aus Not und Faulheit: ich zählte den Fächer meiner Farbkartons wohl zum 23. Mal und – ZONG! Da war sie – die Idee! 





Die Anzahl meiner Blautöne stimmte in etwa überein mit der Zahl der Buchstaben im Wort „Sehnsucht“. Ergänzt durch Schwarz und Weiß klappte es vortrefflich, jeweils 1 Buchstaben versetzt aus je 1 Karton zu schneiden und hinten noch ein Transparentpapier einzuziehen, damit diffuses Licht durch das Tunnelsystem fällt. Auch einen Umschlag mit Fenster und „Glasscheibe“ sollte das Buch bekommen. Gesagt – getan! War doch ganz einfach, als ich wusste, was ich wollte. 







Mit den Fotos für diesen Beitrag habe ich mir dann wiederum ziemlich „einen abgebrochen“. Indirektes Licht, Gegenlicht, bedeckter Himmel, Sonne, nächtliche Innenbeleuchtung mittels Lichterkette …. kein Foto überzeugte mich so richtig. Das Problem schleppe ich schon länger mit mir rum, lässt sich aber schlecht lösen. Neue Kamera kaufen, umziehen und eine professionelle Fotoecke einrichten – das wäre so ungefähr mein Vorschlag an mich selber. Aber … am Ende vom Geld ist immer so viel Monat übrig und neue Wohnungen sind schneller voll als gedacht. Also, Ansprüche runterschrauben und raus mit dem Beitrag, sonst ist das Thema Geschichte. Schon heute wird beim MittwochsMix das Wortpaar für September verkündet. Ich bin gespannt, vor welche Herausforderung ich diesmal gestellt werde. 












Montag, 17. August 2020

Lesezeichen aus alten Buchrücken

Manch eine alte Schwarte aus Opas Bücherregal will keiner mehr lesen, zum Wegwerfen ist sie aber doch zu schade. Mag der Deckel auch abgestoßen sein und das Papier zu muffig und brüchig zum Weiterverarbeiten, es gibt da ja noch etwas mehr: Werft mal einen Blick auf den Buchrücken, bevor ihr das Schätzchen dem Müll übergebt. 

Ein schöner Rücken kann auch entzücken! 
(weiser Spruch aus der Bücherverbastelungsszene)


Der Umschlag ist das Aushängeschild eines jeden Buches. Er trägt zusammen mit einem gut gewählten Titel in besonderer Weise dazu bei, Begehrlichkeit und Kaufentscheid zu wecken. Generationen von Lithographen gaben sich mit der Gestaltung von Bucheinbänden unendliche Mühe, denn Schönheit, Ästhetik und auch Umsatzzahlen sind keine Erfindung von heute. Ein ansprechendes Äußeres gibt dem Buch ein Gesicht und damit den Rahmen, der ihm zusteht. Romane müssen sich schmücken, um schon im Laden unter Tausenden aufzufallen.


Der Buchrücken ist besonders wichtig. Er ist fast das einzige, was man sieht, wenn der Schmöker zwischen Seinesgleichen im Regal steht. 

Ob Kinderbuch, Kochbuch, Roman oder Sachbuch, einen Rücken haben sie alle. Die meisten sind im Stil der jeweiligen Zeit und passend zum Rest des Einbands gestaltet. Selbst schlichte Typografien können ein Hingucker sein. Mal fett, mal mager, mal groß, mal klein, kursiv, condensed, waagerecht, senkrecht, farbig oder dezent schwarz, mit Serifen oder ohne, aufwendig verziert oder sachlich und zweckmäßig. Es gibt unendlich viele Variationen – so viele wie Bücher auf der Welt.



Der Blick auf den Buchrücken dient nicht allein zur Identifizierung sondern verrät viel mehr. Neben dem Zeitgeist kann er Erinnerungen wecken an das alte Buch, mit dem er Zeit seines Lebens fest verbunden waren. 

Gefällt euch der Buchrücken? Ist er sauber genug, um ihn für eure Bettlektüre zu verwenden? Dann bloß nicht wegwerfen. Aus schönen Buchrücken kann man schöne Lesezeichen machen (oder gleich eine ganze Sammlung davon).


Ich habe mir ein paar ältere Schinken vorgenommen und sie in ihre Bestandteile zerlegt, vorsichtig mit einem Messer die Rücken vom Buchdeckel geschnitten oder auch mal gerissen, dann die Seiten begradigt und, wo es nötig war, mit festem Karton hinterklebt. 

Durch eingestanzte Löcher, mal mit, mal ohne Ösenverstärkung, habe ich Fäden aus Geschenkband, Bast, Stickgarn oder Wolle gezogen, Glöckchen daran befestigt oder Fransen aus dem alten Leinen desselben Buches geschnitten und sie zwischen Vorderseite und Papprückseite geklebt. 

Solche Lesezeichen sind schnell gemacht. Jeder braucht sie. Jeder liebt sie. Kaum jemand hat zu viele davon. Wo ist der nächste Bücherschrank?





Dienstag, 28. Juli 2020

Zhen Xian Bao – Mappen für Handarbeitszubehör aus der traditionellen, chinesischen Volkskunst

Mal wieder kam eine Idee über Holland zu mir. Ich sah ein Workshop-Angebot im Internet, viel zu weit weg und sowieso schon vorüber, aber ich fing Feuer. Ich recherchierte weiter, las mich quer durch viele, viele Blogberichte und Foren aus den USA und fand schließlich den Weg zu Ruth Smith in England, die ein paar nett gemachte Anleitungshefte über die Objekte meiner Begierde herausgebracht hatte. Nach ein paar Wochen kam ein Kontakt zustande und sie schickte mir schnell und unkompliziert ihre Lektüre. 

„Folded Secrets“ nennt sie die Behälter, die im Südwesten von China traditionell von den Frauen der dort lebenden Minoritäten zur Aufbewahrung von Stickgarn, Bändern, Schnittmustern und derlei Zubehör angefertigt werden. Zur Herstellung eignet sich handgemachtes Naturpapier aus langfaseriger Maulbeerbaum-Rinde, das strapazierfähig genug ist, um häufigem Falten, Knicken, Öffnen und Schließen zu widerstehen. Je nach Muße und Begabung werden die Innenseiten reichhaltig bemalt, beklebt und farbig ausgeschmückt. Die Umschläge der Mappen, Taschen oder wie man sie nennen will, sind meist schlicht aus Indigo gefärbtem Baumwollstoff. Das Internet zeigt wunderschöne Stücke, wenn man „Zhen Xian Bao“ in die Suchmaschine eingibt.

Wie so oft droht auch in den abgelegenen Gebieten Chinas die traditionelle Volkskunst den schnellen Veränderungen der Zeit zum Opfer zu fallen. Bald sind diese Dinge nur noch in Museen hinter Glas zu bewundern. Schade, schade!




Für meine Nachbauten konnte ich weitgehend auf vorhandenes Material zurückgreifen. So hat die große Mappe einen Umschlag aus einer meiner alten Blusen „Made in Vietnam“ erhalten und eine Verschlusskordel mit 2 alten chinesischen Münzen. Sämtliche Papiere im Inneren habe ich einseitig mit weichem, weißem Vliesstoff kaschiert, um sie widerstandsfähiger und stabiler zu machen. Lokta-Papier war mir in der benötigten Menge schlichtweg zu teuer.



Aus 19 Fächern besteht die große Mappe und das kommt so:

Man öffnet das Album und hat zwei Collagen aus chinesischen Papieren und Stempelabdrücken vor sich. Diese beiden Seiten schlägt man nach links und rechts auf. Nun sieht man acht auf der Spitze stehende Quadrate, das sind Faltschachteln aus chinesischer Tageszeitung, die sich öffnen lassen. 


zwei Faltschachteln sind geöffnet 
alle 8 Faltschachteln sind geöffnet



Unter je zwei dieser Faltschachteln befindet sich eine größere Schachtel, das sind zusammen vier Stück, angefertigt aus Packpapier.



Unter jeder dieser Packpapierschachteln befindet sich nochmal eine Faltschachtel in gleicher Größe, diesmal angefertigt aus alten Schnittmusterbogen. 



Versetzt darunter gibt es schließlich noch 3 große Schachteln aus kaschiertem Landkartenpapier.

Wer jedes dieser 19 Fächer mit etwas Garn, Nadeln oder Perlen füllt, um unterwegs den nötigen Bedarf für die Handarbeit dabei zu haben, hat schnell ein pralles Buch in der Hand. So ein schön gemachtes Zhen Xian Bao ist sicher der Stolz mancher Chinesin.



Das kleinere Album hat einen Umschlag aus einem alten schwarzen Leinenrock von mir und einen Verschluss, der wieder von der Bluse aus Vietnam stammt. Besonders raffiniert und „exotisch“ ist die Rückenbindung um zwei Holzleisten.







Die 16 Sternboxen in der Mitte des Buches habe ich aus Geschenkpapier gefaltet. Natürlich lässt sich jede Sternbox öffnen. Unter jeweils Zweien befindet sich eine größere, längliche Schachtel aus Packpapier. Wiederum zwei dieser länglichen Schachteln geben eine größere, quadratische Schachtel frei und je zwei dieser quadratischen Schachteln öffnen sich zu einer großen Schachtel, die über die komplette Buchhöhe geht. Wer mitgerechnet hat, kommt so auf insgesamt 30 Fächer bei der kleineren Mappe. 



Damit bin ich aber noch nicht fertig. Vor und hinter den beidseitigen Schachteleinheiten sind zusätzlich je 3 doppelt gefaltete Seiten eingebunden, die vorne geschlossen, aber oben und unten offen sind. Da hinein kann man nach Art der chinesischen Minderheiten Bänder oder längere gewebte oder bestickte Handarbeiten einschieben, die dann oben und unten aus dem Behälter herausgucken.



Ich bin gespannt, was Ruth schreibt, wenn sie meine modernen Versionen des Zhen Xian Bao sieht.
Mir hat das Durchdenken und Falten nach ihrer Anleitung jedenfalls großen Spaß gemacht.

Wer von euch neugierig geworden ist und sich die Anleitung(en) bestellen will, fragt am besten per eMail in englisch bei Ruth Smith an, ob sie noch Exemplare von „Folded Secrets“ vorrätig hat. Bisher wurden 4 Hefte herausgegeben mit Beschreibungen für Mappen in unterschiedlichen Ausführungen, Minibooks, Karten und Geschenkdosen. 

Meine Mappen landen jetzt erst mal bei den anderen Buchbindereien im Regal. Wenn ich alt bin, werde ich sicher auch so stolz darauf sein wie die traditionellen Chinesinnen auf ihre reich bemalten Exemplare, die für mich heute so viel begehrenswerter sind als meine eigenen.




Dienstag, 21. Juli 2020

Belgische Bindung am blauen Buch

Mein erstes Album mit Belgischer Bindung gefiel mir so gut, dass ich gleich noch eins auf diese Art hergestellt habe. Die Technik ist nach online-Anleitungen schnell erlernt und leicht umgesetzt, die Seiten lassen sich schön flach aufschlagen und das Ganze ist eine stabile Angelegenheit.





Wie angekündigt habe ich nun auch die beiden blau-gelben Kartons aus dem Papiertausch mit Snigelpapper zu einem Minibuch verarbeitet. Ein bisschen Sütterlin-Schrift ziert das Cover. Innen mit blauem Vorsatzpapier, fliegendem Blatt aus blauem Seidenpapier und meinen entwickelten Fotos der 5-Minuten-Collage von 2017 - so wurde daraus ein schönes Erinnerungsalbum. 






Mehr gibt es diesmal eigentlich gar nicht zu sagen, außer vielleicht: Blau passt zum Thema des MittwochsMix für Juli/August von Susanne und Michaela, deshalb verlinke ich es dort. Der zweite Begriff „Sehnsucht“ steckt mit etwas Phantasie hinter dem ganzen Projekt: Sehnsucht nach immer wieder neuen Ideen für ausgefallene Fotomotive und kreative Buchbindereien. Aber langsam! Vorläufig gehen mir die Themen nicht aus und der Stapel unfertiger Papierarbeiten ist trotz Corona nur unwesentlich geschrumpft. 


Freitag, 10. Juli 2020

Pop Up Bücher im Spielzeugformat

Hier seht ihr Teddy und ihre Freundin, die Giraffe. Die beiden haben schon etliche Motten überlebt und nun im hohen Alter endlich ihr eigenes Spielzeug bekommen: Pop Up Bilderbücher mit richtig funktionierenden, beweglichen Teilen.




Teddy sollte sich aussuchen, ob sie die Hardcover-, Softcover- oder Taschenbuchausgabe behalten möchte. Sie hat geblättert und geblättert, verglichen und studiert, gedreht, gewendet, geprüft und überlegt. Hm, eine schwere Entscheidung! 





Ursprünglich stammt „der Froschkönig“ von genau so einem großen Buch ab wie das „Dornröschen“ im Hintergrund. Der tschechische Architekt und Buchillustrator Vojtech Kubašta brachte zwischen 1956 und 1992 etliche solcher Pop Up Bücher auf den Markt, die teilweise riesige Auflagenhöhen erreichten und weltweit in 24 Sprachen übersetzt wurden.





Das original Buch war schon etwas aus dem Leim, so konnte ich es leicht in seine Einzelteile zerlegen, Stück für Stück einscannen und verkleinert wieder ausdrucken, um es dann mit einer guten Brille, einer spitzen Schere und Skalpell sorgsam originalgetreu zurecht zu schneiden, zu falten, stecken und wieder zusammen zu kleben. 





Nun ist es fast schon ein kleines Kunstwerk. - Teddy guckt mich ratlos an und fragt, ob sie nicht alle drei Bücher behalten darf. Naja, mal sehen …