„Im Land Ägypten verfällt nichts“, heißt ein Sprichwort und damit beginnt auch Annas Workshop zum Thema altägyptische Bücher. Faszinierend sind die ungelösten Geheimnisse aus unserer Vorzeit und wenn sie im Zusammenhang mit der Geschichte der Buchbindung stehen, komme ich um ein paar interessante Fakten nicht herum.
Typische Buchformen des Altertums waren Tontafeln und Schriftrollen aus Papyrus und Pergament. Die ältesten, noch erhaltenen Exemplare entstanden im 4. Jahrhundert vor Christus und kommen aus Ägypten, auch wenn sich deren Existenz in Griechenland bereits seit dem 6./5. Jahrhundert vor Christus nachweisen lässt.
Ab dem 2. Jahrhundert nach Christus begannen frühe Christen, die Kopten, Dokumente oder unbeschriebene Papyrusblätter flach liegend mit einem Umschlag aus Ziegen- oder Schafsleder zu schützen. Papyrusbogen wurden auf Format geschnitten, mittig geknickt und in die Umhüllung eingenäht. So konnte man zum Schreiben und Lesen bequem umblättern, statt eine Rolle mit zwei Händen zu halten und abzuwickeln. Ein Meilenstein! Allerdings verdrängte die gebundene Form des Kodexes die gewohnten Schriftrollen nur allmählich, galten diese doch noch lange als offizielles Symbol für Status und Bildung.
Das stets trockene Wüstenklima in Nordafrika hat nicht nur Mumien konserviert, sondern auch handgeschriebene Manuskripte von meist gnostischem oder religiösem Inhalt vor dem Verfall bewahrt. So fanden Bauern in Oberägypten 1945 im Niltal nahe dem Dorf Nag Hammadi einen Tonkrug mit 13 (!) außergewöhnlich gut erhaltenen Papyrus-Kodexes aus dem 3. - 4. Jahrhundert. Zuerst verkannte man ihren Wert und es wurde entsprechend sorglos damit umgegangen, heute bewahrt das Koptischen Museum in Kairo etliche der fragilen Bücher unter bestmöglichen Bedingungen auf.
Der Nag Hammadi Kodex gehört zu den ältesten existierenden Buchformen mit einer der frühesten Bindungen, die je gefunden wurden. Sein Einband besteht aus mit Papyrusfutter versteiftem Leder, das nach innen umgeschlagen ist. Angearbeitet ist eine Klappe mit langem Wickelband. Lederbänder an Kopf- und Fußseite, Rückenbindung sowie Eckenbänder zur Sicherung und Fixierung sind zum Teil in sich gerollt und verkleistert. Lederflächen sind mit Linien verziert. Der Inhalt des Nag Hammadi Kodexes besteht aus nur einer Lage Papyrus, die bis zu 75 Blätter umfassen kann. In der Mitte der Lage wird die Bindung durch eingelegte Lederstreifen vor Ausreißen geschützt.
Erstaunlich, wie wenig sich heutige Hefte, Bücher und Mappen von dieser frühen Buchform unterscheiden. Mein Kodex ist nach dem Vorbild der Funde aus Nag Hammadi hergestellt. Er weist die gleichen Merkmale auf, ist allerdings kleiner.
Anna hat bereits eine ganze Reihe von interessanten Buchbindungen als Zoom-Kurs konzipiert. Auch moderne Formen sind darunter, wie meine Katzen- und Hundebücher beweisen. Mich zieht es aber eher zu den komplizierteren Projekten, deren Bauweise nicht auf den ersten Blick erkennbar ist. Auf Wunsch von Annas Stammkundschaft entsteht allmählich eine historische Bibliothek, in der jedes Buch etwa 10,5 x 15 cm misst.
Es gibt viel zu tun! Nehmen wir uns die Zeit.