Alte Bücher faszinieren mich nicht wegen ihres Inhalts –
nein, ich gebe offen zu, ich fahre voll auf Äußerlichkeiten ab. Ein schöner
Einband, dicke Bünde, Vorsatz aus Marmorpapier und verzierter Buchschnitt – da
schlägt mein Sammlerherz Alarm.
Gibt es jemanden, der kein Marmorpapier mag? Ich liebe es
und fürchte, mein Bericht wird lang, also nehmt euch Zeit zum Lesen. Ich habe
intensiv recherchiert und ausprobiert, manche Hürden genommen, Fehlschläge
erlebt und Erfahrungen gemacht. Ich werde einen neuen Anlauf nehmen. Es muss
besser gehen! Bald. - Aber fangen wir erst einmal ganz vorne an.
Zur Vorbereitung las ich mich quer durch meine vorhandene
Lektüre zum Thema Marmorieren – Anzahl: 3. In einem kleinen Bastelheft stand,
das Verfahren stamme aus dem 17./18. Jahrhundert, war äußerst kompliziert und
wurde nur von eingeweihten Spezialisten beherrscht. Man empfiehlt, als Basis
Tapetenkleister zu nehmen. Huch! Ohne mich. Kleisterpapier ist wunderschön, zum
Marmorieren ist dieser Trägergrund aber allerhöchstens ein Notbehelf.
Mein Taschenbuch hielt schon deutlich aussagekräftigere
Informationen bereit. Hier war allerdings von in Alkohol gelöster
venezianischer Seife, Formalin, Knorpeltang, Borax, Gallewasser, Seifenspiritus
und sogar von Salzsäure die Rede. Dieser Griff in die Tiefen der Alchemie
erstickte meinen Tatendrang schon damals in den 80ern abrupt im Keim, so dass
mir nichts anderes übrig blieb, als eins der Komplettsets zum Marmorieren zu
kaufen, in dem alle Materialien einschließlich Papier und Farben enthalten
waren. Zwar funktionierte das wohl (ich weiß nicht mehr wie gut), stillte aber
nicht gänzlich meinen ursprünglichen Wunsch, Marmorpapiere auf unkomplizierte
Art mit klar definierten Bestandteilen anzufertigen, also ohne „Fertigmischung
im Bastelpack“.
Das dritte Buch in meinem Bestand erschien vor genau 30
Jahren, also 1991 bei Haupt und heißt „Die Kunst des Marmorierens“. Der
Japaner Einen Miura zeigt eine Auswahl seiner Sammlung, die aus rund 10.000
Blatt teils uralter Marmorpapiere mit etwa 400 verschiedenen Musterungen
besteht. Er vermittelt Hintergrundwissen zur Geschichte und Herstellung.
Demnach entwickelte sich das Marmorieren von Papier aus dem Suminagashi. Auch
in diesem Buch ist die Rezeptur erschreckend, weil viel zu aufwendig und
kompliziert für jemanden wie mich, der nur einfach ein paar Mal einen Stapel
richtig schönes Marmorpapier machen will und sich dann wieder anderen Fassetten
des Hobbys zuwendet.
Kürzlich erschien nun „Papier marmorieren“ von LucyMcGrath im Haupt Verlag, dass ich freundlicherweise zur Rezension
erhalten habe. Großformatige Abbildungen zeigen wunderschöne Marmorpapiere in
klaren, frischen Farben. Ein Augenschmaus! Alle Arbeitsgänge werden
detailliert, übersichtlich und leicht nachvollziehbar beschrieben. Die
Anleitung für Anfänger und Fortgeschrittene schließt Farbenlehre, Moodboard und
raffinierte Techniken auf Werkstoffen wie Stoff, Kork, Leder, Holz und Keramik
mit ein. Am Schluss finden sich nützliche Hilfen zur Fehlerbehebung.
Die Autorin will das vom Aussterben bedrohte Handwerk wiederbeleben
und in einem modernen Licht zeigen. Das gelingt ihr hervorragend. Schlichte
Objekte, überzogen mit fließenden Schlieren und Wirbeln als Beispiele von
Nützlichem und Schönem, das durch die Musterung erst aufgewertet wird. Klares
Layout mit luftigen Freiräumen und übersichtlicher Gliederung, so vermittelt
schon das äußere Erscheinungsbild des Buches die Ruhe und Unkompliziertheit,
mit der man sich gerne der Arbeit widmet.
Ich schöpfte Hoffnung. Finde ich hier, was ich suche? Eine
einfache Anleitung zum perfekten Marmorpapier, das genauso wunderschön ist wie
die Vorbilder im Buch?
Etliche Vorarbeiten waren nötig, bevor es losgehen konnte.
Ich besorgte destilliertes Wasser, Alaun und Carrageen, fertigte aus Wellpappe
und Zahnstochern Kämme zum Mustern an und suchte einen ordentlichen Schwung
verschiedener Papiersorten zum Ausprobieren zusammen. Diese Papiere mussten
alle mit Alaun gebeizt werden. Aus den Resten meines uralten Marmoriergrundes
setzte ich eine Schlichte an und lies sie über Nacht ruhen. Anderntags
verwendete ich für den Einstieg zur Sicherheit erst einmal meine bewährten Marmorierfarben aus dem Komplettset von 1985 in einer kleinen Schale für DIN A5
Papiere. Trotz ihres Alters ließen sich die meisten Farben problemlos steuern
und hatten eine gute Deckkraft.
Alle Einzelheiten kann ich hier nun leider nicht aufschreiben; die
Erfahrungen, die ich am Ende des Tages gesammelt hatte, mussten jedenfalls erst
mal verdaut werden. Manche Farbmusterungen zerrissenen beim Abspülen. Sie
flossen in großen Fetzen vom Papier und ich wusste nicht warum. Ich traute mich
in Folge dessen kaum noch, das Papier nach dem Bad vernünftig abzuspülen mit
dem Ergebnis, dass die ganze Pracht beim Trocknen Risse bekam und aufplatzte
wie getrockneter Wüstensand nach einem Regen. Übrig gebliebene Anzahl
brauchbarer Papiere: 4 von 50 Stück. Wahrscheinlich war die Schlichte deutlich
zu dick.
Am 2. Versuchstag setzte ich meine Schlichte aus frisch
gekauftem Carrageen penibel genau nach Rezept im Buch an. Hier gibt es ein
dickes Problem. Lucy McGrath empfiehlt eine von drei möglichen Sorten
Carrageen. Bei meinen Recherchen in den gängigen Onlineshops fand ich aber nur
Carrageen OHNE jegliche darüber hinausgehende Spezifizierung durch griechische Buchstaben. Angebote von Mindestbestellmengen ab 1 Kilo mit utopischen Versandkosten aus Übersee und drohenden Zollgebühren habe ich dabei erst einmal außer Acht gelassen. Notgedrungen experimentierte ich mit dem unten abgebildeten Produkt herum, welches sich als wenig geeignet erwies.
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Dieses Carrageen (Kappa) erwies sich für das Marmorieren als ungeeignet. |
Zum Papier gibt es im Buch etwas verwirrende Angaben. Da
steht zwar einerseits, marmorieren funktioniert mit allen möglichen
Papiersorten vom Kopierpapier bis zum Büttenkarton. Einen Absatz weiter liest
man dann aber: „Hüten Sie sich vor geleimtem Papier“ … „Auf solchen Flächen
haften die Farben gar nicht gut.“ Hm. Das allermeiste Papier ist in irgend
einer Art geleimt, Löschpapier und handgeschöpfte (China-/Japan-) Papiere mal
ausgenommen. Ungeleimtes, dünnes, glattes Papier habe ich im Museum der
Papiermühle Bergisch Gladbach mit Tinte beschreiben dürfen, die völlig
unkontrolliert darauf ausblutete. Einen Block ungeleimtes Papier (glatt, fest,
strukturlos) fand ich im Internethandel nicht.
Bei den Farben sind die Angaben sehr allgemein gehalten. Man
kann laut Buch mit Aquarellfarben, Gouache, Acrylfarben und Ölfarben arbeiten.
Lucy bevorzugt Acrylfarben. Die habe ich am 2. Versuchstag auch verwendet, aber
so wunderbar klare, kräftige Muster wie im Buch sind mir bei Weitem nicht
gelungen.
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Seltsame Äderung meiner billigen Acrylfarbe in der Schlichte. |
Die Ausbeute meines 2. Marmoriertages war wieder sehr mager.
Ich habe ausnahmslos alle Fehler gemacht, die im Buch beschrieben sind, und
vielleicht noch mehr. Trotzdem möchte ich bald einen 3. Versuch starten und
zwar mit Heavy Body Acrylics und nur den Papiersorten, die sich bisher bewährt
haben. Aber erst einmal muss das richtige Carrageen her.
Alte Schnittmusterbogen, Telefonbuchseiten und Formulare
erwiesen sich übrigens bei meinen Versuchen als völlig unbrauchbar.
Überraschend gut funktionierte ein Abzug auf grobfasrigem handgeschöpftem
Papier aus Nepal.
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Links ein Notenblatt von 1916, rechts handgeschöpftes Nepalpapier. |
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Zu der Arbeit mit Musterkämmen findet man im Buch ausführliche Beschreibungen. |
Wer das Marmorieren zu Hause ausprobieren will, der hat mit
„Papier marmorieren“ von Lucy McGrath ein wunderschönes Buch in der Hand mit klar beschriebener Anleitung und zahlreichen
Musterbeispielen. Den überwiegenden Teil dessen, was man benötigt, hat jede
schon im Haushalt. „Ein Leimbad für den Einstieg“ (so eine der Überschriften)
ist leicht anzusetzen und welche Farben ihr dann benutzt, entscheidet ihr
selbst.
Mein Tipp: versucht nicht wie ich, gleich die perfekten
Marmorpapiere herzustellen. Schaut was ihr erreicht und experimentiert ein
bisschen weiter. Wahrscheinlich kann das Wissen um die uralte Technik, die
einmal ein Handwerksberuf war und heute nur noch von einer Handvoll Profis
ausgeführt wird, gar nicht so einfach vermittelt werden, ohne mit teils
giftigen Komponenten zu erschrecken. Mir hat das Buch Mut gemacht. Ich bin nach
all den Jahren doch noch einen Schritt weiter gekommen und gebe mich (noch)
nicht geschlagen.
„Papier marmorieren“ von Lucy McGrath ist bei Haupt Gestalten erschienen und wurde mir freundlicherweise für diese
Rezension zur Verfügung gestellt. Rein rechtlich enthält dieser Bericht zwar
Werbung, aber wie könnte ich sonst euch Lesern von meinen Erfahrungen
berichten?
Einen ganz herzlichen Dank an den Haupt Verlag!