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Sonntag, 13. November 2022

Das Klingspor Museum und die Kunst

Es war im Sommer dieses Jahres, als ich zum ersten Mal im Klingspor Museum Offenbach war, dem Museum für Buch- und Schriftkunst mit einer Sammlung von ca. 80.000 Künstlerbüchern, Malerbüchern, Pressendrucken, Druckgrafiken, Kalligrafie, Schriftproben und Schriftteppichen des 20. und 21. Jahrhunderts.

Warum war ich nicht schon viel früher dort? Vielleicht weil Offenbach etwas abseits meines Dunstkreises liegt und ich kaum jemals durch ein Plakat oder Werbeblättchen heiß auf das Museum gemacht wurde? Das 9-EUR-Ticket gab mir jedenfalls den nötigen Antrieb.


Ein helles, großzügiges Haus mit vielen freundlichen, teils ehrenamtlichen Mitarbeitern zeigt in wechselnden Ausstellungen eine Vielzahl von Unikaten gut unter Glas geschützt, die uns in unseren kreativen Arbeiten oft wertvolle Anregungen bieten könnten. Tolle Farben in Siebdruck, Risographie und Inkjet Druck, schwungvolles Mark Making, meisterhafte Kalligrafie, überraschende Collagen, interessante Strukturen und Linienführungen. Warum habe ich nur so wenig fotografiert?






Einerseits bin ich durch Instagram wohl von der Flut vielfältiger Ideen in gekonnter Umsetzung reichlich verwöhnt, ja fast schon übersättigt und andererseits durch eigenes, langjähriges Lernen und Weiterentwickeln nicht mehr völlig unbeleckt. So drängte sich mir angesichts mancher Objekte die Frage auf: Wie unterscheidet sich eigentlich meine Hobby-Kunst von dem, was dort in den Vitrinen liegt? Wo ist die Grenze zwischen Kunst und Basteln? Ist etwas gut und wertvoll, weil es im Museum hängt? Ab wann darf ich mich Künstler nennen? Befördert mich ein entsprechendes Studium automatisch auf das begehrenswerte Niveau? Oder bin ich Künstler, wenn ich meine Objekte sprachgewandt erklären und teuer verkaufen kann? Nenne ich mich vielleicht sogar Künstler, um meine Produkte besser verkaufen zu können? Will ich überhaupt verkaufen oder behalte ich alles für mich?

Macht es mich zum Künstler, wenn ich täglich Pinsel, Farben, Schere und Klebstoff in den Händen halte, mich dem Tun mit Nadel und Faden, Stoff und Papier mit Leidenschaft hingebe, wenn mir Zeit für neue Experimente wichtiger ist als ein ausgedehntes Frühstück oder wenn mich Treffen mit Meinesgleichen an mit Farbe bekleckerten Tischen inspirieren und auf Hochtouren bringen? Was macht einen echten Künstler aus?

Ich denke, Künstler verlassen die eingetretenen Wege, setzen neue, nie dagewesene Maßstäbe, schaffen Installationen, die es so noch nicht gegeben hat. Wie kann ich richtungsweisende Werke erschaffen? Wie kann ich Effekte erzielen, über die man spricht? Was ist die vollendete Ausdrucksform? Worauf will ich hinweisen und was wird uns wachrütteln? Immer einen Schritt voraus gehen ist Kunst, die morgen vielleicht schon hundertfach kopiert wird.






Kunst kommt von Können, aber ich kann auch Geschirr spülen, abtrocknen und wegräumen. Und staubwischen (aber nicht so gerne).

Die Auskünfte bei Wikipedia bringen mich nur wenig weiter:

  • Das Wort Kunst bezeichnet im weitesten Sinne jede entwickelte Tätigkeit von Menschen, die auf Wissen, Übung, Wahrnehmung, Vorstellung und Intuition gegründet ist. Fechtkunst, Reitkunst, Kochkunst, Heilkunst sind allgemein bekannte Begriffe.
  • Die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs Kunst wurde auf alle Produkte menschlicher Arbeit angewandt, was beispielsweise bei Kunststoff, Künstliche Ernährung, Künstliches Aroma, Künstliche Intelligenz ersichtlich wird. Hergestellt nach allen Regeln der Kunst.
  • Kunst wird als Gegensatz zu Natur, als künstlich anstelle von natürlich verstanden, als Bezeichnung für „nicht natürliche“, also „künstliche“, Gegenstände und Materialien wie Kunstpelz, Kunststoff, Kunstblume, Kunstherz, Kunstauge.
  • Kunst ist ein menschliches Kulturprodukt, das Ergebnis eines kreativen Prozesses. Ausübende der Kunst im engeren Sinne werden Künstler genannt.
Sigmund Freud sah in der Kunst – wie in jeder kreativen Tätigkeit – eine Möglichkeit, den Trieb der Libido auf nicht-sexuelle Weise zu veredeln. Na toll. Das hat jetzt noch gefehlt!

Am Ende bleibt meine Frage nach der Abgrenzung auch hier unbeantwortet.

Kommen wir zurück zu den Tatsachen.


Das Klingspor Museum bietet seit etwa 2 Jahren in der angegliederten Druckwerkstatt Kurse an und als Dafi Kühne aus Zürich einen Tagesworkshop gab, wollte ich mir das nicht entgehen lassen.






„Dafi Kühne ist ein Schweizer Gestalter, der mit analogen und digitalen Mitteln arbeitet, um frische und einzigartige Plakate im Hochdruckverfahren herzustellen. Er verbindet moderne Mittel mit der jahrhundertealten Tradition des Buchdrucks und schafft mittels Typografie und Form ein neues Vokabular zeitgenössischer Kommunikation“, so heißt es in der Beschreibung zu seinem Buch.

Überzeugt hat mich im Vorfeld, was Google an Drucken von ihm zeigt. Äußerst beeindruckt war ich dann von dem quirligen, charmanten, begabten Kerlchen, als ich ihn in Aktion erlebte.





An einem Tag kann man nicht sehr viel schaffen. Wir bearbeiteten Graupappe auf unterschiedlichste Weise in kleinen Arbeitsgruppen, lernten die wichtigsten Grundlagen des Hochdrucks kennen und druckten unsere jeweiligen Proben mit einer alten, schweren Druckerpresse. Am Ende des Tages stellten wir daraus ein Kursteilnehmer-Gemeinschaftsplakat her, was allen viel Spaß machte.






Zu Hause habe ich aus zwei meiner Plakate kleine One-Sheet-Books gemacht, denn für große Bogen gibt es keinen Platz mehr an den Wänden.





Dafi Kühne verdient den Titel „Künstler“ auf jeden Fall und falls er mal in eurer Nähe ist, lasst euch das Erlebnis nicht entgehen.

Ausschnitt aus einem Plakat von Dafi Kühne für die Bewerber eines Kunststipendiums der Stadt Zürich



 
Bis bald, ihr alle. Kommt gut in den Advent!! Wir lesen uns wieder – gerne auch in den Kommentaren, wo ihr ausgiebig eure Gedanken (über Kunst) teilen dürft.

ela

9 Kommentare:

  1. Also, als erstes habe ich gleich geschaut, wie weit Offenbach eigentlich von mir entfernt liegt...du hast mir dieses Museum total schmackhaft gemacht, das will ich unbedingt auch einmal besuchen! Wusste ich es doch, dass du noch über den Buchomaten berichtest, liebe Ela!
    Ah, und hättest du mir vorher von Dafi Kühne und dem Tagesworkshop erzählt...da wäre ich ja zu gerne dabei gewesen! Seine Typo-Plakatkunst finde ich ganz großartig - habe mir gerade so Einiges von ihm angeschaut.
    Ja, wann ist etwas Kunst oder was macht einen Künstler aus! Darüber könnte man tagelang philosophieren und diskutieren... ich kenne sogar einen Lebenskünstler. Früher dachte ich tatsächlich, dass Leute, die Ausstellungen machen, wohl echte Künstler sein müssen...
    Und wie viele Künstler es doch bei Instagram gibt!
    Immer, wenn die Postkunstlisten verschickt sind, schaue ich, was, bzw. wer sich hinter noch unbekannten Namen verbirgt, und oft genug finde ich dann "Künstlerin" im Profil. Das lasse ich jetzt einfach mal unkommentiert so stehen...

    Hab Dank für diesen anregenden, wieder so kurzweilig verfassten Blog-Artikel!
    Liebe Grüße - Ulrike


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  2. tja, wie heisst es "Ist das Kunst oder kann das weg?" äh, oder an die Wand/den Käufer/die Museumsinteressentin/die Galerie? Danke für die Vorstellung dieses Museums (verflixt, das ist doch garnicht so weit weg von meiner Heimat) und Deiner philosophischen Betrachtungen... grinsende Grüße. Eva

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  3. ich habe mal ein zitat von donald rubell, einem kunstsammler aus miami gelesen, das mir sehr gefällt: "kunst muss verunsichern, dein denken verstören, ein bisschen unwohlsein hervorrufen. es ist das fehlen von vertrautheit." mir geht es jedenfalls oft so, dass ich schöne bilder/fotos/skulpturen zwar gut finde, aber diese nichts mit mir tun. sehe ich aber besonderes, wie z.b. einen riesigen schwarzen kreis aus kohlestaub (ich glaub, der war von richard serra), dann bin ich überwältigt und kann mich nicht sattsehen, nehme das in mir auf und behalte es tief im gedächtnis. geht es dir auch manchmal so, dass du vor bestimmten kunstwerken stehst und dass es innerlich richtig weh tut, weil es dich so ergreift?
    das museum muss toll sein. sollte ich jemals nach offenbach kommen, werde ich es dank deines berichts sicher besuchen. und so ein kurs wäre dann natürlich dann noch ein höhepunkt!
    liebe grüße
    mano

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    1. Warum kann einfaches Schönes nicht auch Kunst sein? Das sehe ich anders. Und was das Werk persönlich mit dir macht, ist ja was ganz anders, als andere damit empfinden... Schwierig... Deine Arbeiten habe auf jeden Fall diese künstlerische Schöpfungshöhe!

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    2. Auch hier, nicht anonym... Liebe Grüße
      Michaela

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  4. Wie gut, dass du uns mit nimmst ins Museum und in den großartigen Druckworkshop, alleine schon für das Betreten dieser Werkstatt hat sich die Reise gelohnt, oder? Tja, die liebe Kunst, so schwer, und warum eigentlich? Ich sehe mich nicht wirklich als Künstlerin (obwohl es in meinem Instaprofil steht), aber ich brauche dieses hohen Anspruch nicht. Aber ich brauche das künstlerische Tun, das zweckfreie einfach Machen, Verstören will ich nicht. Ich würde die Messlatte lieber runterschrauben und es mit Beuys halten. "Jeder Mensch ist ein Künstler." ...

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  5. Ein sehr sehr schwieriges Thema, schon lange , aber in dieser medialen Zeit noch viiiiel mehr. Alle Gedanken würden hier das Portal sprengen. Nur einige: Urheberschaft ist kaum noch eindeutig nachweisbar, durch www wird weit gespiekt. Handwerk ist gut und wichtig, aber Handwerk allein macht keinen Künstler. Fertigkeiten sind erlernbar, neue Ideen kommen aus einem selbst heraus.Fast alles ist schon probiert worden in den Sparten, nur neue Mischungen machen noch AH in der Kunstwelt! Ob jemand, der künstlerisch arbeitet Erfolg hat und davon leben kann, hängt von extrem vielen Faktoren ab, die sich auch noch treffen müssen. Durch Internet und Kurse sind viele auch der Meinung durch erlerntes Handwerk, sie können das auch ...Wer kretaives Tun braucht zum Überleben und sonst eingeht wie eine Priemel, ist für mich schon nahe dran, egal ob die Welt seine Kunst "braucht".
    Danke fürs Mitnehmen, dort möchte ich auf alle Fälle mal hin. Wir können ja mal einen Betriebsausflug machen.Viele Grüße, Karen

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Ich freue mich sehr über jeden netten, ehrlich gemeinten Kommentar. Applaus ist das Brot des Künstlers ;-)

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