Dienstag, 28. Juli 2020

Zhen Xian Bao – Mappen für Handarbeitszubehör aus der traditionellen, chinesischen Volkskunst

Mal wieder kam eine Idee über Holland zu mir. Ich sah ein Workshop-Angebot im Internet, viel zu weit weg und sowieso schon vorüber, aber ich fing Feuer. Ich recherchierte weiter, las mich quer durch viele, viele Blogberichte und Foren aus den USA und fand schließlich den Weg zu Ruth Smith in England, die ein paar nett gemachte Anleitungshefte über die Objekte meiner Begierde herausgebracht hatte. Nach ein paar Wochen kam ein Kontakt zustande und sie schickte mir schnell und unkompliziert ihre Lektüre. 

„Folded Secrets“ nennt sie die Behälter, die im Südwesten von China traditionell von den Frauen der dort lebenden Minoritäten zur Aufbewahrung von Stickgarn, Bändern, Schnittmustern und derlei Zubehör angefertigt werden. Zur Herstellung eignet sich handgemachtes Naturpapier aus langfaseriger Maulbeerbaum-Rinde, das strapazierfähig genug ist, um häufigem Falten, Knicken, Öffnen und Schließen zu widerstehen. Je nach Muße und Begabung werden die Innenseiten reichhaltig bemalt, beklebt und farbig ausgeschmückt. Die Umschläge der Mappen, Taschen oder wie man sie nennen will, sind meist schlicht aus Indigo gefärbtem Baumwollstoff. Das Internet zeigt wunderschöne Stücke, wenn man „Zhen Xian Bao“ in die Suchmaschine eingibt.

Wie so oft droht auch in den abgelegenen Gebieten Chinas die traditionelle Volkskunst den schnellen Veränderungen der Zeit zum Opfer zu fallen. Bald sind diese Dinge nur noch in Museen hinter Glas zu bewundern. Schade, schade!




Für meine Nachbauten konnte ich weitgehend auf vorhandenes Material zurückgreifen. So hat die große Mappe einen Umschlag aus einer meiner alten Blusen „Made in Vietnam“ erhalten und eine Verschlusskordel mit 2 alten chinesischen Münzen. Sämtliche Papiere im Inneren habe ich einseitig mit weichem, weißem Vliesstoff kaschiert, um sie widerstandsfähiger und stabiler zu machen. Lokta-Papier war mir in der benötigten Menge schlichtweg zu teuer.



Aus 19 Fächern besteht die große Mappe und das kommt so:

Man öffnet das Album und hat zwei Collagen aus chinesischen Papieren und Stempelabdrücken vor sich. Diese beiden Seiten schlägt man nach links und rechts auf. Nun sieht man acht auf der Spitze stehende Quadrate, das sind Faltschachteln aus chinesischer Tageszeitung, die sich öffnen lassen. 


zwei Faltschachteln sind geöffnet 
alle 8 Faltschachteln sind geöffnet



Unter je zwei dieser Faltschachteln befindet sich eine größere Schachtel, das sind zusammen vier Stück, angefertigt aus Packpapier.



Unter jeder dieser Packpapierschachteln befindet sich nochmal eine Faltschachtel in gleicher Größe, diesmal angefertigt aus alten Schnittmusterbogen. 



Versetzt darunter gibt es schließlich noch 3 große Schachteln aus kaschiertem Landkartenpapier.

Wer jedes dieser 19 Fächer mit etwas Garn, Nadeln oder Perlen füllt, um unterwegs den nötigen Bedarf für die Handarbeit dabei zu haben, hat schnell ein pralles Buch in der Hand. So ein schön gemachtes Zhen Xian Bao ist sicher der Stolz mancher Chinesin.



Das kleinere Album hat einen Umschlag aus einem alten schwarzen Leinenrock von mir und einen Verschluss, der wieder von der Bluse aus Vietnam stammt. Besonders raffiniert und „exotisch“ ist die Rückenbindung um zwei Holzleisten.







Die 16 Sternboxen in der Mitte des Buches habe ich aus Geschenkpapier gefaltet. Natürlich lässt sich jede Sternbox öffnen. Unter jeweils Zweien befindet sich eine größere, längliche Schachtel aus Packpapier. Wiederum zwei dieser länglichen Schachteln geben eine größere, quadratische Schachtel frei und je zwei dieser quadratischen Schachteln öffnen sich zu einer großen Schachtel, die über die komplette Buchhöhe geht. Wer mitgerechnet hat, kommt so auf insgesamt 30 Fächer bei der kleineren Mappe. 



Damit bin ich aber noch nicht fertig. Vor und hinter den beidseitigen Schachteleinheiten sind zusätzlich je 3 doppelt gefaltete Seiten eingebunden, die vorne geschlossen, aber oben und unten offen sind. Da hinein kann man nach Art der chinesischen Minderheiten Bänder oder längere gewebte oder bestickte Handarbeiten einschieben, die dann oben und unten aus dem Behälter herausgucken.



Ich bin gespannt, was Ruth schreibt, wenn sie meine modernen Versionen des Zhen Xian Bao sieht.
Mir hat das Durchdenken und Falten nach ihrer Anleitung jedenfalls großen Spaß gemacht.

Wer von euch neugierig geworden ist und sich die Anleitung(en) bestellen will, fragt am besten per eMail in englisch bei Ruth Smith an, ob sie noch Exemplare von „Folded Secrets“ vorrätig hat. Bisher wurden 4 Hefte herausgegeben mit Beschreibungen für Mappen in unterschiedlichen Ausführungen, Minibooks, Karten und Geschenkdosen. 

Meine Mappen landen jetzt erst mal bei den anderen Buchbindereien im Regal. Wenn ich alt bin, werde ich sicher auch so stolz darauf sein wie die traditionellen Chinesinnen auf ihre reich bemalten Exemplare, die für mich heute so viel begehrenswerter sind als meine eigenen.




Dienstag, 21. Juli 2020

Belgische Bindung am blauen Buch

Mein erstes Album mit Belgischer Bindung gefiel mir so gut, dass ich gleich noch eins auf diese Art hergestellt habe. Die Technik ist nach online-Anleitungen schnell erlernt und leicht umgesetzt, die Seiten lassen sich schön flach aufschlagen und das Ganze ist eine stabile Angelegenheit.





Wie angekündigt habe ich nun auch die beiden blau-gelben Kartons aus dem Papiertausch mit Snigelpapper zu einem Minibuch verarbeitet. Ein bisschen Sütterlin-Schrift ziert das Cover. Innen mit blauem Vorsatzpapier, fliegendem Blatt aus blauem Seidenpapier und meinen entwickelten Fotos der 5-Minuten-Collage von 2017 - so wurde daraus ein schönes Erinnerungsalbum. 






Mehr gibt es diesmal eigentlich gar nicht zu sagen, außer vielleicht: Blau passt zum Thema des MittwochsMix für Juli/August von Susanne und Michaela, deshalb verlinke ich es dort. Der zweite Begriff „Sehnsucht“ steckt mit etwas Phantasie hinter dem ganzen Projekt: Sehnsucht nach immer wieder neuen Ideen für ausgefallene Fotomotive und kreative Buchbindereien. Aber langsam! Vorläufig gehen mir die Themen nicht aus und der Stapel unfertiger Papierarbeiten ist trotz Corona nur unwesentlich geschrumpft. 


Freitag, 10. Juli 2020

Pop Up Bücher im Spielzeugformat

Hier seht ihr Teddy und ihre Freundin, die Giraffe. Die beiden haben schon etliche Motten überlebt und nun im hohen Alter endlich ihr eigenes Spielzeug bekommen: Pop Up Bilderbücher mit richtig funktionierenden, beweglichen Teilen.




Teddy sollte sich aussuchen, ob sie die Hardcover-, Softcover- oder Taschenbuchausgabe behalten möchte. Sie hat geblättert und geblättert, verglichen und studiert, gedreht, gewendet, geprüft und überlegt. Hm, eine schwere Entscheidung! 





Ursprünglich stammt „der Froschkönig“ von genau so einem großen Buch ab wie das „Dornröschen“ im Hintergrund. Der tschechische Architekt und Buchillustrator Vojtech Kubašta brachte zwischen 1956 und 1992 etliche solcher Pop Up Bücher auf den Markt, die teilweise riesige Auflagenhöhen erreichten und weltweit in 24 Sprachen übersetzt wurden.





Das original Buch war schon etwas aus dem Leim, so konnte ich es leicht in seine Einzelteile zerlegen, Stück für Stück einscannen und verkleinert wieder ausdrucken, um es dann mit einer guten Brille, einer spitzen Schere und Skalpell sorgsam originalgetreu zurecht zu schneiden, zu falten, stecken und wieder zusammen zu kleben. 





Nun ist es fast schon ein kleines Kunstwerk. - Teddy guckt mich ratlos an und fragt, ob sie nicht alle drei Bücher behalten darf. Naja, mal sehen …




Dienstag, 9. Juni 2020

100% Recycling – mein Papiertausch-Musterbuch

Ich habe mich immer gerne an Papiertausch-Aktionen beteiligt. So manches Mal kam ich auf diese Weise an ganz tolle alte oder seltene Papiere, dann wieder sandte jemand nur irgendwelche Schnipsel, die die andere selber nicht mehr haben wollte. Das allerkleinste Briefchen kam einmal von Ghislana. Es enthielt einige besonders feine Stücke und hat mich wohl mehr gefreut als manch andere fette Briefbombe.




Der Paper Swap von Franca Maria macht momentan eine längere Pause und ob es irgendwann weiter geht ist fraglich. Da passte es perfekt, dass Katrin und Sabine vom artlaboratorium kurz vor Weihnachten Wichtelpartner fürs Kreativwichteln suchten. Das Los brachte mich mit Bärbel zusammen. Sie schickte mir neben etlichen Papieren auch ein entkerntes, altes Buch, d.h. eigentlich war es nur ein Leinencover, das innen bereits mit neuem weißem Vorsatz beklebt war. Nichts Sensationelles, aber es sprach mich an. Immer wieder nahm ich es zur Hand, klappte es auf und zu und betrachtete es von allen Seiten. Ein Brevier, das ich gerne öfter in die Hand nehmen würde.

Im Zuge meiner umfassenden Corona-Einzelhaft-Aufräum-Aktion fiel eines schönen Morgens der Groschen, ohne sich vorher angekündigt zu haben. Ich holte den Stapel großer brauner Papiertausch-Umschläge auf den Tisch. Noch immer war jede Sendung schön beieinander, nichts um- oder aussortiert und nichts von all den mir zugeschickten Schätzen verbraucht. Umschlag für Umschlag sortierte ich jeweils Gedrucktes, Selbstgemachtes, Altes, Spezialpapier und Ephemera auf Häufchen und entschied, was zum Zerschnibbeln nun wirklich zu schön ist. Mein Plan stand fest. Ich machte mein erstes Musterbuch. Oft habe ich solche Bücher neidisch in Museen oder im Internet bewundert. Jetzt wollte ich auch eins.





Dem ersten Impuls folgend nähte ich Seiten mit blauer Wolle ins Buch, flocht Zöpfe und drehte Kordeln aus den am Rücken austretenden Fäden, aber der Effekt war kaum sichtbar. Als mein Cover gestaltet war, trennte ich alles noch mal auf und nähte die Seiten mit gelber Wolle ein. Vorne ins Buch klebte ich eine Tasche aus Bärbels Begleitkarte, die glücklicherweise auch gelb war.





Ich kann euch sagen, die ganze Arbeit an den Musterseiten war erheblich aufwendiger, als man angesichts der meist gleichgroßen Papierproben denken mag. Für wiederkehrende Größen schnitt ich mir zwar eine Schablone, aber trotzdem brauchte es viele Tage, bis aus Bärbels altem Roman mein Papier-Tausch-Musterbuch wurde.






Postkünstlerinnen sind übrigens auch verewigt. Wer im Frühling 2019 in meiner Briefset-Gruppe war, oder ein Jahr zuvor beim Walzendruck mitgemacht hat, wird sich hier vielleicht wiederfinden. Auch wenn es so manches Mal eine Überwindung war, eure Papiere zu „entjungfern“, so blättere ich doch immer wieder gerne in meinem Musterbuch.





PS. an Bärbel: aus den beiden gelb-blauen 15fünfzehn-Pappen von dir ist auch schon ein Album geworden. Da fehlen nur noch die Texte, dann zeig ich es hier.


Dienstag, 2. Juni 2020

Von Acrylic Pouring verfolgt

Mache Dinge hängen sich einem einfach an die Fersen, ohne dass man es jemals so gewollt hätte. Vor Jahren beobachtete ich eine kleine Gruppe von Leuten, wie sie unter Anleitung ihre ersten Versuche mit Acrylic Pouring machten. Neugierig geworden googelte ich zu Hause nach den Rezepten. Ich fand einen wahren Dschungel von Möglichkeiten, der mich eher verwirrte als weiterbrachte. Ich besorgte ein sündhaft teures Pouring Medium und Silikon, packte Acrylfarben, Leinwände und Plastikbecher in den Koffer und probierte im Urlaub zusammen mit einer Freundin aus, was ich in der Theorie gehört, gelesen und gesehen hatte.



Die Ergebnisse waren vorzeigbar. Eine Leinwand und eine Malpappe setzte ich später mit Scharnieren zu einer Schatulle zusammen. Dahinein kam ein Heft, dessen Cover aus dem Karton besteht, der einst als Arbeitsunterlage die überschüssige Acrylfarbe aufgefangen hatte.









Die Sache wäre an dieser Stelle für mich erledigt gewesen, wenn ich nicht Jahre später in einem chicen neuen Laden (Soestrene Grenes) ein Pre-Mixed Pouring Set in harmonischen Farben gesehen hätte, das versprach, tolle Ergebnisse ohne Vorarbeit zu liefern. Ich sag euch gleich: mir tut jeder einzelne Cent leid, den ich für diesen Mist ausgegeben habe! Das Zeug ist völlig klumpig und fließt nicht, die mitgelieferte Gebrauchsanweisung ein schlechter Scherz! Auch der Versuch, die Farben mit Wasser und Silikonöl aufzubereiten, brachte keine brauchbaren Gießbilder zustande.



Kurz darauf wurde bei uns in der Volkshochschule ein Acrylic Pouring Kurs angeboten. Erwähnenswerte Kreativ-Workshops zählen in dieser Stadt zu den absoluten Raritäten, also versuchte ich mein Glück und meldete mich an. Ganze 3 Termine fanden dann tatsächlich statt, bevor Corona weiteren Spaß im Keim erstickte. Wir lernten die Techniken Flip Cup, Swipe, Swirl und Spatula kennen.

Flip Cup

Swipe

Swirl - links frisch gegossen und rechts nach dem Trocken

Spatula - links frisch gegossen und rechts eine Woche später






Das sich während der Trocknung die gegossenen Bilder verändern, wussten wir. Allerdings war meine Enttäuschung groß, als ich die letzten beiden Leinwände sah. Innerhalb einer Woche war aus dem runden Swirl eine weggeflossene Farbsoße geworden (hatte das Bild schief gestanden beim Trocknen?) und das knallige Rot des Spatula-Bildes hatte sich in ein mieses Braun verwandelt (möglicherweise war das Rot nicht deckend).

Mittlerweile ist die Acryl-Gieß-Technik kein Geheimtipp mehr. Sogar Aldi Süd hatte kürzlich Pouring Sets, Medium und Anleitungsbücher im Angebot. Ich werde also weitermachen. Nicht mit Leinwänden, denn mein Platz ist begrenzt, aber mit Steinpapier. Das nimmt weniger Platz weg und lässt sich prima als Schmuckpapier für weitere Projekte verwenden.