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Sonntag, 19. Mai 2024

Kunst, Buch, Künstlerbuch von Petra Paffenholz – mehr als nur eine Buchrezension

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Fangen wir mal so an: Anfang April fuhr ich zum ersten Mal anlässlich der BuchDruckKunst nach Hamburg. Dort findet im Museum der Arbeit alljährlich eine exquisite Messe mit gut 60 Ausstellern statt. Erlesene Buchbindereien, Künstlerbücher, Unikate, Handdrucke, Lithografien, Radierungen und Buchdruck-Kunst aus traditionellen sowie neuen Druckverfahren, Malerbücher, Papier-Objekte und vieles mehr wird zum Kauf angeboten. Zeitgleich demonstrieren Papiermacher, Schriftgießer, Setzer, Drucker und Buchbinder an alten Maschinen ihr Handwerk.




Ich sah hier preisgekrönte Meisterwerke im Original, die ich bisher nur von eher sterilen, digital aufgehübschten Abbildungen in Fachzeitschriften oder dem Internet kenne. Solche Fotos haben mich nie sonderlich berührt. Ganz anders war es nun live vor Ort. Ich begriff endlich, welche Ausstrahlung von diesen Arbeiten ausgeht, sah das akkurat gearbeitete Kunsthandwerk, die Harmonie von Form, Gestaltung und Material. Feinstes Leder, Goldschnitt, erlesenste Papiere. Ich erkannte, welche Präzision und handwerkliches Können in jedem dieser Werke steckt und warum man hier nur mit dem Auge schaut oder sich allenfalls zur näheren Begutachtung respektvoll mit weißen Baumwollhandschuhen schützt.

Es lagen Werte vor mir, bei deren Anblick ich unwillkürlich ein bisschen flacher atmete, um ja keine Spuren an den makellosen Objekten zu hinterlassen – im wahrsten Sinne atemberaubend! Ein kleines Buch im Schuber, vielleicht gerade einmal 3 x 5 cm, hätte ich gerne den Tag über mit durch Hamburg und dann nach Hause getragen, aber 800 EUR sollte es kosten.

Das durchweg hohe Niveau der Aussteller hatte ich bisher noch nirgends gleichzeitig in solch großer Anzahl gesehen. Ein bisschen bunter, enger, quirliger, volksnäher, erschwinglicher und wohl genauso ideenreich geht es auf der Minipressen-Messe in Mainz zu, die aber leider nur alle zwei Jahre stattfindet.




Schon vor Jahren habe ich im Ausland dicke Bildbände mit Abbildungen von allerlei außergewöhnlichen Künstlerbüchern gekauft. Es hat mich immer gestört, dass die meisten Arbeiten darin aus nur einer Perspektive zu sehen sind und man kaum nachvollziehen kann, auf welche Art und mit welchen Materialien sie angefertigt wurden. Das Fehlen der haptischen Wahrnehmung ist ein großes Manko.

Ähnlich stellte ich mir nun auch das neue Buch von Petra PaffenholzKunst, Buch, Künstlerbuch“ vor, bis es mir vom Haupt Verlag zur Rezension überlassen wurde. Die Autorin ist allerdings ganz anders vorgegangen. Sie arbeitet das Thema auf ihre Weise auf, stellt Fragen in den Raum und antwortet mit der Geschichte des Künstlerbuchs. Sie regt dazu an, die Planung eines Buchprojektes neu zu überdenken und zu verändern, Volumen, Ränder, Rücken, Äußeres und Inneres umzugestalten, in Form, Material und Konzeption die üblichen Pfade zu verlassen. Anhand einer Menge von Beispielen großer, bekannter und (mir) völlig unbekannter Künstler zeigt sie die Vielfältigkeit des Machbaren auf, die ebenso zahlreich ist wie in jeder anderen Kunstform. Aber „was ist das Minimum an Buch, das ein Buch zu einem Buch macht?“

Petra Paffenholz überlässt die Antwort wiederum dem Leser und leitet geschickt über in den praktischen Teil. Auf einen kurzen Abriss zu nützlichen Werkzeugen folgen knappe, präzise und leicht verständliche Zeichnungen verschiedener Arten von Bindung sowie Schnitt- und Faltvorschläge.



Bei Instagram hatte ich in KW 12 zum „Jahr der Briefmarke“ die Schnurwurftechnik gezeigt. Durch die Stille Post war sie zu mir gekommen und hatte sich naturgemäß verändert. Endlich sehe ich, wie Petra Paffenholz ihre Idee selbst interpretiert.





„Es geht nichts über eine selbst gemachte Erfahrung!“ – so lautet das Kapitel, in dem Maße nicht vorgegeben werden, um dem Gestalter die volle Freiheit zu lassen, „das weite Feld selber zu beackern.“ Kunst vollendet sich im Auge des Betrachters und dieses Buch vollendet sich erst durch aktive Beteiligung seines Besitzers.

Mein Buch in der Zigarrenkiste hat eine andere Bindung als von Petra Paffenholz vorgeschlagen wird. Die Scharniere so anzubringen, wie ich es gemacht habe, ist eine wackelige Angelegenheit und tatsächlich nicht nachahmenswert.







Eine Fülle von fertigen Buchbeispielen schließt sich an: Skizzen- und Sudelbücher, Junk Journals, Kunstorakel, Eselsohr, Sprachverwirrung und Küchentuch. Da Petra Paffenholz an der Freien Kunstakademie Augsburg als Dozentin tätig war, zeigt sie etliche Arbeiten der Studierenden. Immer sind neben Urhebern und Titeln auch Impulse für eigenes Tun angegeben. Durch das komplette Buch ziehen sich zahlreiche Hinweise für alle, die sich vertiefen wollen. Ein ausführlicher Anhang mit Namen und Internet-Adressen, nach denen sich online weiter recherchieren lässt, beendet das Buch.







Mein ganz persönlicher und sicherlich nicht unanfechtbarer Kritikpunkt bezieht sich auf die zarte Typografie, die zudem in einem zwar recht edlen Grauton gedruckt wurde, mir aber bei gemütlicher Wohnzimmerbeleuchtung erhebliche Leseschwierigkeiten bereitete. Wahrscheinlich liegt das am Alter oder der Brille. Denkt öfter mal an die Rentner!  😎

Kunst, Buch, Künstlerbuch von Petra Paffenholz wurde mir freundlicherweise vom Haupt Verlag zur Rezension überlassen. Ich bedanke mich sehr herzlich bei meinem Lieblingsverlag. Sogar die Neuheiten für Herbst 2024 sind schon online.

Ich wünsche allen viel Entdeckerfreude. Bleibt neugierig.

ela